Geschichte über Morbus Menière .

5 1/2 Jahre Morbus Meniere - davon die letzten 3 Jahre völlig anfallsfrei

15.07.2018

Jahr der Diagnose: 2013


Für mich war es ein großes Glück, dass bereits bei meinem allerersten Anfall vor 5 1/2 Jahren die Diagnose lautete: „Verdacht auf Erstmanifestation von Morbus Meniere.“ Nun, die Sani-Station ist nur ca. 800 m von mir entfernt, und das Nordklinikum mit der entsprechenden HNO-Abteilung 2 km. Und ich dachte ja erst „Schlaganfall“ oder eine „Lebensmittelvergiftung schwerster Art“, also rief ich schnell den Notarzt.

Und einen solchen Anschauungsunterricht von einem Meniere-Anfall – wie ein Film zum Lehrbuch (*) – bekommen selbst MM-Spezialisten in der Klinik wohl nur selten zu sehen.
(*) – Drehschwindel allein ist es ja nicht, sondern
– mit Richtungsverschiebung bei Stimmgabelversuch im Tieftonbereich wg. Hörausfall auf dem Anfallsohr,
– mit einem Patienten, der obwohl schon lange nichts mehr rauskommt, auch noch das 21., 22. oder 23. mal kotzt,
– und der dabei ständig behauptet, nach rechts von der Bahre zu fallen (Die Antwort war immer wieder aufs neue: „Geht nicht, Sie sind angeschnallt.“)
– und der auf Grund seines Nystagmus nicht im Mindesten in der Lage ist, dem Arzt wie gewünscht auf den Finger zu schauen,
– usw.

Mit dieser Diagnose konnte ich schnell Bücher zum Meniere holen und Kontakte knüpfen. So war ich bereits 11 Tage nach der Diagnose bei der hiesigen KIMM Selbsthilfegruppe und hörte so 10 oder mehr Geschichten von persönlichen Krankheitsverläufen und vor allem von allerlei Beobachtungen, die sie bei sich gemacht hatten. Ähnliches dann auch im inzwischen geschlossenen Meniere-Forum.

Ein weiterer glücklicher Umstand für mich war meine Vergangenheit, oder besser gesagt, das Erleben von Entwicklungs- und Lernstörungen bei meinen Kindern vor 25 Jahren. Wie das? Ich hatte ja in der Zeit nach dem ersten Anfall nicht nur Schwindelgefühle, sondern Buchstabendreher, Wortfindungsstörungen, usw. – also das volle Jean-Ayres-Spektrum von Problemen der Sensorischen Integration. Und deshalb schwante mir schon, sich aus lauter Vorsicht vor Gleichgewichtsanforderungen zurückzuziehen, wird das Ganze nicht beheben sondern verstärken. Und als dann noch ein junger Arzt bei einem Informationsbesuch unserer KIMM-Gruppe in der Schwindelambulanz der Uni Erlangen auf die Frage nach geeigneten Gleichgewichtsübungen antwortete: „Spielen Sie doch einfach Federball.“, da rollten die meisten von uns nur ablehnend die Augen („der hat ja keine Ahnung wie schlecht es uns geht“). Ich hingegen frohlockte. Gut, ich spiele jetzt nicht Federball, aber mit über 60 habe ich damals wieder angefangen, einmal in der Woche Fußball zu spielen. Und immer wenn ich einen Partner dafür habe, spiele ich Squash, Tischtennis oder auch mal Indiaka.

Und als eigentlich notorischer Nichttänzer habe ich jetzt riesigen Spaß an Ceilidh Events. Dabei wird man geradezu getanzt und ab und an von anderen auch mal im Kreis herumgeschleudert. Deshalb Schwindel? Drehwurm? Dass ich nicht lache. Zumindest zwischen den Anfällen hatte ich bereits nach ca. 10 Wochen keinerlei Schwindelgefühle mehr. Das Tanzen habe ich mich natürlich erst nach 2 Jahren getraut. Auch da nicht die geringsten Schwindelgefühle. In den Anfällen selbst hatte ich natürlich auch weiterhin starken Schwindel. Wenn ich in einem Anfall die Augen öffnete, drehte sich das Zimmer um mich wie eh und je. Also Augen zu, dann dominiert halt das Fallgefühl den Drehwurm, was aber auch nicht angenehmer ist.

Aber: Nach 13 Anfällen in 2 1/2 Jahren bin ich mittlerweile seit fast 3 Jahren anfallsfrei. Und mein Gefühl ist, jeder könnte so etwas schaffen … vielleicht wenn wir und unsere Ärzte den Fokus der Beobachtungen mehr auf diese Anfallspausen als auf die Anfälle selbst richten würden. Ich denke, wir sollten uns häufiger auch fragen „wie funktioniert Gesundheit“ und nicht immer nur „wie funktioniert Krankheit“. Auf letztere Frage hat man schließlich beim Meniere seit über 150 Jahren keine befriedigende Antwort gefunden. Da wird diese wohl auch morgen nicht vom Himmel fallen.

Was ich vor 25 Jahren auch kennen gelernt hatte, den „Geschichtenerzähler“ von Gazzaniga (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-82995624.html). Um nicht in die Falle zu laufen, Wahrnehmungen und Interpretation meiner Wahrnehmungen zu vermischen, habe ich von Anfang an Buch geführt über jeden Anfall. Ich protokollierte jedes Mal mehr als 30 Parameter, die ich gelesen oder in der Gruppe von den anderen im Zusammenhang mit Meniere gehört hatte. Hätte ich es nicht getan, würde ich jetzt gemäß meines persönlichen subjektiven Eindrucks alle möglichen Sachen behaupten (z.B. nur 3 der 13 Anfälle am Tag, der Rest nachts; oder immer an aufregenden Tagen; Wetterrisiko, usw.), die von dem Protokoll ganz eindeutig widerlegt werden (die Anfälle sind beliebig über die Tageszeiten verteilt; und die Hälfte der Anfälle hatte ich in ganz entspannten Zeiten; die wattigen Ohren bekomme ich zwar häufig bei Wetterumschwüngen, aber wattige Ohren sind noch lange kein Anfall; usw.).

Ich fürchte, der übliche jahrelange Weg bis zur Meniere Diagnose lässt in uns allen den „Geschichtenerzähler“ auf Hochtouren laufen. D.h. wir basteln/spekulieren uns auch allerlei vermeintlich ursächliche Zusammenhänge zusammen. Und das bekommen die Meniere-Ärzte dann von uns betroffenen als Input.

Während meines sechsten Anfalls bekam ich z.B. einen Anruf auf dem Handy, welches neben mir lag, sodass ich es greifen konnte, ohne den Kopf auch nur einen einzigen cm zu bewegen. Mit Erstaunen stellte ich fest, dass ich jetzt mitten im Anfall auf dem Anfallsohr wieder ganz normal hören konnte … nach 2 Wochen, wo es ständig schlechter geworden war, und zwar so, dass ich am Telefon auf dem rechten Ohr kein Wort mehr verstanden habe.

Ich googelte und fand das „Lermoyez-Syndrom“ als Erklärung. Und das berichtete ich beim nächsten Gruppentreffen. Die Antwort war einhellig und überraschend: „Das war am Anfang doch bei uns allen so!“ Ich fragte: „Warum steht das dann in keiner Literatur? Warum habt ihr das nicht gesagt?“ … „Da hatten wir die MM Diagnose noch gar nicht und später wurde das Hören dann mit jedem Anfall schwieriger. Das kommt bei Dir schon auch noch“.

Mein Schluss daraus war anders: Ich fragte mich nun ernsthaft, ob der Anfall wirklich den Höhepunkt des Krankheitsgeschehens darstellt (was die Beeinträchtigung und das Erleben anbetrifft, ist das sicher der Fall) oder aber den Beginn eines Heilungsprozesses (von physiologischen Vorgängen im Innenohr, welche sich am immer schlechter werdenden Gehör zeigen)? Von da an prüfte ich, ob man Meniere vielleicht auch als Problem der Psycho-Neuro-Immunologie betrachten könne. In einem solchen rückgekoppelten, vielfach verschränkten System gibt es kein eindeutiges „wenn-dann“ mehr, und damit auch keine eindeutige „Ursache“. Alles hängt mit allem zusammen.

Und beim Hören ist es ja auch so: „Schlechtes Hören beeinträchtigt die Befindlichkeit, und die aktuelle Befindlichkeit wirkt sich auf das Hörvermögen aus.“ … und Analoges gilt praktisch überall, Hormone, Psyche, alles. Womit wir wieder zurück wären, beim Gleichgewicht, bei der Balance, wenn auch im übertragenen Sinne.

In mehreren Bereichen könnte es zu Ungleichgewichten kommen, welche sich negativ auf den Meniere auswirken könnten. Allem voran im Immunsystem, schließlich beeinflussen/unterstützen/unterdrücken auch die beim Meniere eingesetzten Medikamente Kortison und Betahistin gezielt die körpereigenen Immun- bzw. Entzündungsmodulatoren Cortisol und Histamin. Relativ eng mit einer gestörten Immunregulation verbunden wären aber auch eine mögliche Dysbiose der Darmflora (z.B. Reizdarm, zu viel Kolibakterien, zu wenig Laktobazillen, zu wenig Bifidobakterien) , sowie eine Überreizung des Sympathikus bei gleichzeitiger Unterreizung des Parasympathikus/Vagus-Nervs (eine typische Folge von Dauerstress z.B. durch Arbeitsdruck, psychosozial, aber auch mal durch Fehlhaltungen).

Was kann man da selbst tun? Vor allem Änderungen an seinem Lifestyle vornehmen. Und was hinter diesem Schlagwort steckt, ist eigentlich ganz banal: (1) gesunde und ausgewogene Ernährung; (2) ausreichend Schlaf, und zwar mit und nicht gegen seinen Biorhythmus; (3) regelmäßige Bewegung an frischer Luft, z.B. Sport; (4) Vermeidung von unnötigem Stress und Stärkung der Stressabwehr, z.B. durch Meditation, Atemübungen o.ä.; (..) usw. Mir hat es geholfen.

Und ich denke, das kann wirklich jeder. Jeder mache einfach davon erst mal das, was ihm wirklich Freude bereitet. Dann bleibt man auch dabei. Der Erfolg stellt sich aber nicht gleich am nächsten Tag ein, und bei langem schwerem Krankheitsverlauf wahrscheinlich auch nicht so nachhaltig wie bei mir. Ich denke, diesen Weg einzuschlagen lohnt sich trotzdem.

Wenn ich nicht bei jedem Gruppentreffen (auch wenn ich gerade über einen neuen Anfall berichten musste), meine Vorstellung stets mit den Worten „UND ICH HABE NICHT VOR, NOCH EINEN WEITEREN ANFALL ZU BEKOMMEN“ abgeschlossen hätte — was im Übrigen immer herzhafte Lacher der ganzen Runde ausgelöst hat — würde ich ja sagen, dass meine lange Anfallspause reiner Zufall ist, denn in der Literatur wird so etwas auch immer mal wieder beschrieben. Aber ich weiß, dass ich die ganze Zeit genau an diesem Ziel gearbeitet habe. Auch das gibt wieder diesen positiven Pusch, Stichwort „Selbstwirksamkeit“. Das zu erleben, wie schon oben beim Sieg über den „psychogenen“ Schwindel zwischen den Anfällen, stärkt das Vertrauen in sich selbst, ein nicht zu unterschätzendes Element für einen erfolgreicheren angstfreien Umgang mit dem Morbus Meniere.
Geschichte über Morbus Menière

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